Grundschule des Kreises Offenbach mit pädagogischer Mittagsbetreuung


Prof. Krautz sprach zum Thema "Ware Bildung"


Zum Thema "Ware Bildung" hatte die WLS - mit freundlicher Unterstützung der Gemeinde Egelsbach - Herrn Professor Jochen Krautz ins Bürgerhaus eingeladen. Neben fast allen Erzieherinnen und Erziehern der Egelsbacher Kitas und der Schulbetreuung sowie dem Kollegium der WLS waren auch Kollegen von außerhalb und - leider nur relativ wenige - Eltern der Einladung gefolgt.

Der sehr kritische Vortrag beleuchtete die aktuelle Entwicklung, dass Konzerne zunehmend die Bildung als lukrativen Markt entdeckt haben und - vielfach unbemerkt - indirekt und direkt längst auch auf politischer Ebene konzeptionell in Sachen Bildungsstandards und Lehrinhalten mitreden.

Anmerkung dazu: Auf der am Samstag zuende gegangen Bildungsmesse "didacta" hatte z.B. Nintendo (wichtigstes Produkt: Nintendo DS Light) einen eigenen Stand.

Eindringlich betonte Herr Krautz, dass auch die beste Lern-CD und das ausgefeilteste E-Learning niemals die Bezugsperson des Lehrenden ersetzen könne - sei dies nun Erzieherin, Elternteil oder Lehrkraft.

Es folgen einige subjektiv ausgewählte, teilweise provokante Thesen und Zitate aus dem Vortrag - die gerne auch ambivalent betrachtet werden dürfen und nicht zwangsläufig die Meinung der WLS wiederspiegeln müssen:

"Erziehung bedeutet eine Auslese der Welt durch das Medium einer Bezugsperson."
(nach Martin Buber, 1925)

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"Kinder brauchen keine Moderatoren selbstgesteuerter Lernprozesse [ebendies ist ein Schwerpunkt der derzeitigen Lehrerausbildung], sondern Bezugspersonen; sonst sind sie alleine gelassen."

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"PISA prüfte nach einem eigenen bildungstheoretischen Konzept und nicht nach dem, was in unserem Schulwesen - da für gut und richtig befunden - gelehrt wird. Mit den auf PISA folgenden Bildungsreformen trainieren wir auf das PISA-Konzept hin anstelle unserer bisherigen Lehrpläne."

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"Aktueller Trend: Gewinnorientierte Privatisierung staatlicher (= öffentlicher = unserer) Aufgaben und Interessen (z.B. Bildung)".

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"Einige Schlagworte der Bildungsökonomie:
Humankapital, Output-Orientierung, Qualitätsentwicklung, Effizienz, Total Quality Management"

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"Der Begriff 'Kompetenz' ist beliebig definier- und anwendbar, zum Beispiel so:
'[zu vermittelnde] Schlüsselkompetenz ist die Fähigkeit, sich an Technik und Wirtschaft anzupassen.'
Mit diesem Kompetenzbegriff sind Dinge wie Schönheit, Empathie oder Fragen nach dem Leben nicht zu fassen und gehen nach und nach verloren."

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"Folge: Hier werden die 'global cititzens of tomorrow' erzogen."

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"Heutzutage sind Bildungsökonomen Experten für alles - erstaunlicherweise offenbar mehr als die Pädagogen."

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Nach dem Vortrag ergaben sich noch einige Wortmeldungen mit Anfragen oder Bemerkungen.
Auch hiervon noch einige Schlaglichter:

"Was ist eigentlich mit der 'Herzensbildung' der Kinder (ein zentrales Anliegen der Kitas)?"

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"Wir fühlen uns den aktuellen Tendenzen und Konzepten gegenüber ohnmächtig, es geht fast nur noch um die Leistungsgesellschaft."

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"Die immer stärkere Betonung des Computers in Erziehung und Bildung führt u.a. zu einem 'Bild-Problem' - Bilder entfachen sofortige Wirkung, ohne dass wir vorher wissen welche - wie schnelle Schüsse ins Gehirn, und ersparen dem Betrachter das Denken."

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"Ersetzt die Zeit, die vor dem Computer verbracht wird, die Kommunikation mit anderen Kindern, Erzieherinnen und Lehrkräften, verarmt die Sprache der Kinder, bzw. sie lernen sprachliche Vielfalt erst gar nicht kennen."

Anmerkung dazu: Viele Erstklässler haben ernste Schwierigkeiten, einen kompletten Satz zu bilden.
'Kannich nBall?' Die Aufforderung, bitte einen ganzen Satz daraus zu machen, erzeugt dann Verwirrung und Verständnislosigkeit. Der Satz muss tatsächlich vorgesagt werden.

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"Die Konzepte von PISA etc berücksichtigen nicht: Was ist eigentlich kindliche Entwicklung?"

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"Es herrscht aktuell eine tiefe Verwirrung über die Erziehungsfrage: Was brauchen Kinder eigentlich? Über Hunderttausende von Jahren haben sich Kinder entwickelt, weil sie in Lebenssituationen und -zusammenhängen sowie in Lebensgemeinschaften standen, die Anforderungen und Aufgaben an sie stellten. Der Kontext zum Leben (mit allen seinen Fragen und Problemstellungen, nicht nur den ökonomischen) muss erhalten bleiben."

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Verantwortlich für diesen Artikel: Michael Knörr